Reiseberichte


Navigation: Übersicht / RADTOUR DURCH DIE SAHARA + WESTAFRIKA

WÜSTENWELLEN

Wenn man vor dem mehrere hundert Kilometer durch die Wüste ratternden Förderband steht, begreift man, worum es bei dem Streit um die Westsahara ging: Riesige Phosphatmengen werden in den Hafen von El Masra befördert. Marokko beanspruchte dieses Gebiet, allein die Saharauis wollen unabhängig sein.
Wir treiben uns in dem von Marktleuten und Wunderheilern wimmelnden Hafenviertel herum, bevor wir mit viel Schwung zu den nächsten Radetappen aufbrechen. Der Wind ist uns günstig gesonnen, wir düsen durch einsam flache Wüstenabschnitte, hin und wieder Kamelherden, einzelne Hütten. Unterwegs beziehen wir in einer der raren Tankstellen kostenlos Lager in einem mit Teppichen und Matratzen ausgelegten Hinterzimmer, werden mit köstlich zubereitetem Kamelfleisch versorgt, während draußen der Wind tobt.

Schon von weitem erblicken wir den Leuchtturm von Boujdour, ein einst von Seefahrern gefürchteter Ort, lässt doch der Anblick des wild aufschäumenden Atlantiks berechtigterweise an Seemonster glauben. Windböen reißen uns fast um und das Rad bleibt in dem weichen Sand stecken, den uns der Wind gnadenlos um Gesicht und Beine peitscht und der wie feine Nadelstiche schmerzt. Schleunigst radeln wir in die Stadt!
Die Strecke bis Dakhla legen wir mit dem Bus zurück. Leere Geisterstädte ziehen an uns vorüber, gedacht für die Rückkehr saharauischer Flüchtlinge. Schließlich durchqueren wir Canyon artige Felseinschnitte und gelangen über die von weißsandigen Stränden begleitete Nehrung zur pompösen Stadteinfahrt. Wir streifen durch den von orientalischen Gewürzen duftenden Markt und die Altstadt, eine Augenweide sind die buntseidig im Wind flatternden Tücher der Frauen. Wie sehr der immerwährende Wind nicht nur die Leute hier prägt, sondern auch ein für uns entscheidender Faktor ist, erweist sich in den nächsten Tagen.

Nachdem wir Proviant gebunkert haben, sausen wir bei günstigem Rückenwind dahin, passieren den Wendekreis des Krebses und bewältigen spielend die nächsten 100 km. Wir hätten sogar noch Ressourcen, doch eine der raren Tankstellen mit einer Möglichkeit zum Schlafen tut sich auf.
Während wir unsere Matten und Schlafsäcke auf dem kahlen Boden herrichten, fährt ein Polizeiauto zu, drei Polizisten springen heraus, stellen Klappstühle am Straßenrand auf und nehmen Platz. Die Situation wirkt, ob der Einsamkeit hier, so grotesk, dass ich meinen Fotoapparat zücke. Verhängnisvollerweise steht gerade in diesem Augenblick einer auf und dreht sich um, ertappt mich beim Verbotenen und eilt her. Ob ich fotografiert hätte? Ja, aber nur die Tankstelle mit Ausblick auf Wüste, gebe ich zurück, aber ein bisschen schwül ist mir schon. Woher wir denn kämen, fragt er weiter. Österreich? Sein Gesicht fängt zu strahlen an. Krankl! ruft er entzückt und am Abend sitzt Geri mit ihnen in fröhlicher Runde beim Satellitenfernseher und verfolgt Inter Mailand-Liverpool, 0:1.

Es ist stockdunkel und saukalt, als wir frühmorgens los düsen, schon die anfänglichen Kilometer sind zäh, mit Steigungen verbunden, nach jeder Linkskurve wird der Wind zu unserem Feind.160 km sollte heute, notwendigerweise, unsere Tagesetappe dauern! Da sind kaum Pausen für das prächtige Farbenspiel von Sand und Meer drinnen: Von gleißend weiß über gelb, ockerfarben, braun, bis rosa schillert die weite Küste unter der allmählich aufleuchtenden Sonne, die ihre violetten Schatten zu den am Horizont erscheinenden Traumstrände schickt, aber ohnehin zum Baden zu weit entfernt, das Wasser zu stürmisch und kalt.
Wir treten ordentlich in die Pedale und erreichen sogar Spitzengeschwindigkeiten von fast 48 km/h. Bald jedoch brennt die Sonne heiß vom Himmel und trocknet unsere Kehlen aus. Auch die Temperatur des Wassers in den Trinkflaschen steigt und verlockt nicht gerade zum Stillen des Durstes. Wind und Sand fegen seitwärts über die Straße, zeitweise kriechen wir fast den starken Windböen entgegen. Schließlich schwitzen wir aus allen Poren und erschöpft stellen wir nach 100 km fest, dass wir wohl heute in der Wüste im absoluten Nichts biwakieren müssen, was natürlich gewisse Gefahren in sich birgt, da die Verminung des Bodens zunimmt, je mehr wir uns der Landesgrenze nähern.

Da taucht nach stundenlanger Einsamkeit ein Campingbus mit deutschem Kennzeichen auf, Geri hebt die Hand und – er hält! Schnell sind die Räder aufs Dach gehievt und wir räkeln uns dankbar auf weicher Sitzbank. Dass wir es mit einem ganz besonderen Paar zu tun haben, finden wir rasch heraus: Ralf ist seit 12 Jahren nach einem Motocross Unfall querschnittgelähmt und bewegt sich mit Krücken fort. Er möchte in dem für seine Bedürfnisse adaptierten Wohnmobil, ein Mercedes 310, in nahezu zwei Jahren Afrika umrunden. Es sollten sieben Jahre daraus werden! Seine Freundin Gaby wird ihn drei Monate begleiten, dann muss sie wieder ihren Job als Physiotherapeutin antreten.
Am späten Nachmittag erreichen wir den marokkanischen Grenzposten, eine zweistündige Prozedur nimmt ihren Lauf: hier noch einige kühle Häuschen, drüben nur mehr eine heiße Holzbaracke, unendlicher Papierkram, neugierige Wageninspektionen mit der penetrant gierigen Frage nach Alkohol oder kleinen Geschenken, wobei langfingrig nach Radio und Brillen geschnappt wird. Ralf bleibt charmant, gelassen und hart - in den oberen Kästchen sei Fatimas Unterwäsche, da zucken die Beamten natürlich zurück – und schon bleibt unser zukünftiger vorzüglicher Weinvorrat gesichert.
Im 5 km breiten, unwegsamen Niemandsland huschen dubiose Gestalten herum, die alle möglichen Dienste anbieten. Etliche Autowracks zeugen von hochgegangenen Minen. Wie hätten wir da mit den Rädern durchkommen sollen? Uns wird schon schwül, als wir kurz im Sand stecken bleiben, doch unbeschadet gelangen wir schließlich bei angehender Dunkelheit nach MAURETANIEN und nach weiteren Kontrollen tauchen wir in das bunte und laute Gewühl von Nouadhibou ein. Wir biegen in einen sauberen freundlich angelegten Campingplatz ein und spülen Schweiß und Staub mit ein paar Bierchen hinunter.

Eine völlig andere Welt erwartet uns hier, andere Gerüche, Farben und Geräusche, das Straßenbild ein kunstvolles Flickwerk von allem. Stolz tragen die Männer ihre weißen oder hellblau wallenden Umhänge. Unsere Räder werden in der Dachkammer versperrt und wir bunkern Vorrat für einige Tage, denn Ralf und Gaby haben uns zu einem Trip in die Wüste eingeladen!
Zum belebten Fischmarkt dürfen wir nur nach mehrmaliger Versicherung dort nicht zu fotografieren, schaukeln da doch unzählige verrostete Schiffsleichen herum.
Nicht leicht ist es, den richtigen Einstieg vom Asphalt in die Hauptpiste des riesigen Sandmeeres zu finden, etliche Spuren, viele ins Nichts verlaufend, aber noch sind wir in Bahn Nähe! Und da dröhnt er auch schon heran, die Erde scheint zu beben, der längste und schwerste Zug der Welt, 2,5 km lang! Bis zu vier Loks und über 200 Waggons transportieren Eisenerz zum Hafen.
Ralfs GPS hilft uns auf Kurs zu bleiben, wir brettern dahin, kleine Siedlungen und Kamelherden tauchen immer wieder auf, flache Leere wechselt mit kleinen Sanddünen, strohige Büschel, vereinzelt Bäumchen und ausgebleichte Knochenreste. Gegen Abend suchen wir uns ein idyllisches Plätzchen, genießen Oliven, Nüsse, von Ralf lecker zubereitete Fische, Bier, Wein und Whisky. Flinke, schwarz-weiß gezeichnete Käfer wieseln um unsere Essensreste, eine Kamelherde gleitet fast lautlos an uns vorüber, dann breitet sich wieder die unendliche Stille der Wüste aus. Unser Nachtlager wird vom trauten Schein des Mondes überflutet, der halbscheibig in Begleitung unzähliger Sterne am Himmelszelt hängt.

Winzige Vögel und summende Bienen umschwirren morgens die wenigen Bäumchen, auf der Weiterfahrt erleben wir blitzschnell in ihre Löcher flitzende Dornschwanzechsen, ein einsamer Esel trottet im Gelände, und da sitzt er auf einmal, und reckt neugierig seine langen Ohren, ein Wüstenfuchs! Beglückt setzen wir die Reise fort. Das Landschaftsbild wechselt erneut, immer öfter weichen wir hohen Sanddünen in weitem Bogen aus, zuletzt lassen wir Luft aus den Rädern, um die Sandhügel zu bewältigen. Murrend wälzt sich die Maschine durch den weichen, oft tiefgespurten Untergrund. Heiß bläst uns der Wüstenwind inzwischen ins Gesicht, die Temperaturen klettern über 40 Grad!
Schon von weitem erkennen wir den Ben Amira, den nach Ayers Rock zweitgrößten, aber mit 450m höchsten Monolithen der Welt. Mächtig ragen die zwei glatten, schwarzrunden Felsformen aus der dornigen Ebene, mächtig setzen nun auch die Windböen ein, treiben uns zum Einschlafen den Sand in Augen, Ohren, Nasen, mächtig schwarze Vögel kreisen morgens um unser Lager. Ein alter Mann taucht plötzlich auf, ob wir seinen Esel gesehen hätten?

Nach einem kurzen Aufenthalt in einer nahen Siedlung, wo wir zu rituellem Tee eingeladen werden, kämpfen wir uns wieder durch Dünen bis Choum, dort geht die Piste allmählich in festgepressten Untergrund über. Bald breitet sich ein ockerfarbenes liebliches Tal vor uns aus, das von einer steilen langgezogenen Bergwand begrenzt wird, die Flächen wie mit einem Lineal abgeschnitten.
In dem kleinen Städtchen Atar rasten wir uns auf dem nett angelegten Campingplatz erstmals aus. Während Ralf den Bus wartet, der bei einem vier Meter Sprung über eine Bodenwelle etwas gelitten hat, besuchen wir eine dicht mit Palmen bewachsene Oase mit kühlem Badeteich.
Mit einem Mietauto und Fahrer dringen wir in die schroffe Bergwelt ein und kurven über die gewundene atemberaubende alte Passstraße nach Ouadane. Wir streunen in dem alten Lehmmauerwerk herum, bis die untergehende Sonne die Winkel und Gassen der verlassenen Altstadt in warmes Rotbraun taucht.
Einzigartig gestaltet sich der Rückweg über Chinguetti durch die sich bilderbuchartig ausbreitende Sandwüste. Hier gibt es keine Spuren mehr, wir zeichnen unsere eigenen, doch der Wind wird auch diese bald wieder verweht haben. Es ist die siebent heiligste islamische Stadt, uralte Koranschriften sind in Familienbibliotheken verwahrt, einige davon dürfen wir besichtigen.



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