Bergabenteuer


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Zu Fuß zum Thron der Götter

Namche Bazar, 09.03.2006

Am Morgen des 18. Februar brechen Valentin und ich von Jiri auf, jenes Dorf am Ende der Straße, wo ich vier Tage zuvor mein Rad habe "ausrollen" lassen.

Bis Jiri können Güter aller Art über die schon beschriebene, atemberaubende Bergstraße transportiert werden.

Östlich, nördlich und südlich von Jiri, teils mehrere hundert Kilometer weit, erstreckt sich eine dicht besiedelte Gebirgslandschaft mit unzähligen Dörfern an steilen Hängen, getrennt durch hohe Pässe und tiefe Schluchten. Diese Dörfer sind über ein dichtes Netz von Fußwegen erreichbar, vergleichbar mit den schwierigeren und vor allem steileren Wanderwegen in den Alpen.

Das Gebiet ist so unzugänglich, dass sich dorthin weder Polizei noch Armee verirren. Es wird von den Maoisten kontrolliert, die seit Jahren einen erbitterten Kampf gegen die absolutistisch regierende Monarchie führen. In solchen Regionen haben sie ihr sicheres Rückzugsgebiet, von dem aus sie operieren können.

Hier in Jiri beginnt auch mein Fußweg ins Everest-Gebiet, wo meine Expedition Ende März mit dem Hubschrauber ankommen wird. Valentin hat genau sechs Tage Zeit, mich auf meinem Weg ins Everest-Gebiet zu begleiten. In Lukla, einem Dorf auf halbem Wege, gibt es einen kleinen Flugplatz, von wo aus er nach Kathmandu zurückfliegen wird.

Was erwartet uns auf dieser 6-tägigen Wanderung von Jiri auf 1950m Höhe nach Lukla, das auf 2840m liegt? Ein Anstieg von 890 Metern? De facto werden wir auf dieser Strecke 8000 Höhenmeter ansteigen und 7100 Meter absteigen. Aber genau das macht den Reiz des Nepal-Trekkings aus: die hohen Pässe und tiefen Schluchten trennen hier nicht nur einzelne Dörfer, sie trennen oft auch verschiedene Völker, Kulturen, Lebensweisen und Sprachen.

Gleich hinter Jiri steigt der Weg 500 Meter an, hinauf zur ersten Passhöhe, von weitem erkennbar durch die Mani- Mauer und die im Wind wehenden Gebetsfahnen. Hier verweilen Mönche auf ihrer weiten Reise in ihre Klöster, alte Menschen auf dem Weg ins nächste Dorf und Kinder in ihren Uniformen auf ihrem 2-3-stündigen Schulweg. Sogleich geht es 600 Meter hinunter ins Tal ins hübsche Dorf Shivalaya – Mittagsrast. Nach einer starken Nudelsuppe wartet gleich die doppelte Portion, nämlich 1000m Anstieg, auf uns. Dort oben in 2750m Höhe, eine komplett andere Landschaft! Das Braun- Weiß der Lehmziegelhäuser hat dem Grau solider Steinhäuser Platz gemacht, das Grün saftiger Feldterrassen macht einem mystisch wirkenden, nebligen Wald Platz. Nach 600m Abstieg erreichen wir das kleine Dorf Bhandar, wo wir einen Platz für die Nacht finden. Welch Überraschung! Es gibt hier, wie am gesamten Weg, komfortable Lodges mit Betten in versperrbaren Räumen. Obwohl es hier keine Stromleitungen gibt, haben die Menschen durch Solarzellen für einige Stunden Strom. Die Hitze des offenen Feuers zum Kochen wird abgeleitet zum Wassertank – so gibt es sogar heiße Duschen. Wir sitzen in der warmen Küche, plaudern, nach Stunden kommt das Essen – es wird hier alles frisch zubereitet.

Entlang des Weges gibt es unzählige solcher Lodges. Und das für eine Handvoll von Touristen? Mit uns sind es gerade einmal zehn Wanderer gewesen, die in diesem Jahr diese Strecke begangen haben. Die meisten verkürzen ihren Weg in die Everest-Region durch einen Flug nach Lukla und vermeiden auf diese Weise eine Wanderung durch das Maoisten-Gebiet. Nein, da gibt es nicht nur uns Trekker, die eine Lodge benötigen. Unsere Autobahnen sind voll mit LKWs. Unser Wanderweg ist der Highway ins Sherpa-Gebiet. Unzählige Träger versorgen die Dörfer entlang der Strecke, tragen auf ihren Rücken unglaubliche Lasten von Jiri nach Namche Bazar, dem Hauptort der Sherpa. Aber das ist eine eigene Story, über die ich später berichten will.

Der nächste Tag führt uns durch eine liebliche Landschaft hinunter ins Tal, in die Ortschaft Kinja. Dort ist gerade Markttag, alles ist auf den Beinen. Der Ort ist wohl eine Maoisten-Hochburg, überall findet man Hammer und Sichel an die Wände gemalt. Wir wissen, was das für uns bedeutet, dennoch lassen wir uns für eine Weile in Kinja nieder – wir haben Hunger.

Es kommt, wie es kommen muss – der obligate Überfall durch die Maoisten! Zuerst kommen immer mehr Einheimische und starren uns an, während wir auf unser Essen warten. Dann bildet sich eine Gruppe von 10-12 jungen Männern, die vor unserem Essraum Aufstellung nehmen. Sie schieben eine junge Frau, offensichtlich ein Maoisten- Lehrmädchen zum Eingang – die einzige der Gruppe, die etwas Englisch spricht. Verlegen drücken sie sich vor der “dining hall” herum. Valentin und ich, in Erwartung des Mao-Überfalls, können das Lachen kaum verbeißen. “Dürfen wir hereinkommen?” Höflich sind sie, keine Frage! “Ja bitte, nehmt nur Platz!” Schweigen, lange Zeit verlegenes Lächeln in der Gruppe. Das Lehrmädchen fasst sich ein Herz und fragt: “Ihr wisst, warum wir gekommen sind?” “Ja, ihr seid die Maos und braucht unsere Unterstützung für euren Kampf gegen die Regierung. Also wie viel?” Ein Hauch der Erleichterung geht durch die Gruppe, das Lehrmädchen wirkt richtig dankbar für meine Hilfe -endlich ist es ausgesprochen. 5000 Rupien, ca. 60 Euros, pro Person! Ich stimme widerwillig zu, verlange aber eine Rechnung. Einer der arrivierteren Maos zückt beflissen seinen Quittungs-Block, auf dem bereits der Betrag von 5000 Rupies vorgedruckt ist. Somit ist jeder Versuch, über einen Discount zu verhandeln, zwecklos. Alles hat seinen Preis, und 5000 Rupien kostet es eben, wenn man durch den von den Maos hier gegründeten Kleinstaat wandern will. Schließlich kann man auch nicht mit Finanzminister Grasser handeln, wenn man die Vignette für Österreichs Autobahnen erwerben will. Mit der von den Maos ausgestellten Quittung können wir nun frei durch die Gegend ziehen. Werden wir nun nochmals überfallen, brauchen wir nur das Schriftstück (“Vignette”) zu zücken und können weiterwandern.

Nun ja, sehr gefährlich hat dieses Überfalls- Kommando nicht gewirkt. Einfach ignorieren? Kurz kam dieser Gedanke auf. Es wäre vermutlich nicht sehr klug gewesen. Da muss es wohl weit gefährlichere Mao-Exemplare geben, unweit von hier in Camps in den Wäldern. Nicht umsonst halten diese Truppen Nepals Armee seit Jahren in Atem, und immerhin hatte unser “Überfalls- Kommando” ein Satelliten-Handy bei sich.

Erleichtert – um 60 Euro – verlassen wir das gastliche Kinja und machen uns an den 2000 Meter-Anstieg hinauf zum Lamjura- Pass in 3530m Höhe. Nein, nicht in einem Stück! Auf halbem Wege verbringen wir die Nacht im Dörfchen Sete.

Der nächste Tag, der 20. Februar, führt uns bald heraus aus den zauberhaften Rhododendron- Wäldern hinauf auf einen neblig- windigen Bergkamm, der in einem mystisch wirkenden Wald hinauf auf die Höhe des Lamjura La führt. Hier in mehr als 3500 Metern Höhe erreichen wir das Solu Khumbu, das Kerngebiet des Sherpa-Volkes.

Wer glaubt, dass Sherpa nur in großen Höhen wohnen, täuscht sich gewaltig. Innerhalb von zwei Tagen verlieren wir in stetem Auf und Ab mehr als 2000 Höhenmeter. Am Morgen des 22. Februar erreichen wir in 1500 Metern Höhe den tiefsten Punkt unserer Wanderung, das Dudh Khosi- Tal und das liebliche Dörfchen Juving, das wieder saftig- grüne Tiefland- Atmosphäre vermittelt.

Zwei Stunden später erreichen wir das “Autobahnkreuz” Kharikhola. Der Wanderweg teilt sich, ein kleines Holz- Schildchen hilft bei der Orientierung an diesem neuralgischen Verkehrsknotenpunkt. Links geht es nach Norden in das Everest-Gebiet, rechts nach Ost-Nepal ins Arun- Tal.

Am sechsten Tag unserer Wanderung erreichen Valentin und ich schon am Vormittag unser gemeinsames Ziel, das Dorf Lukla. Vor 22 Jahren war ich schon hier gewesen. Damals gab es hier drei Häuser, eine Schotterpiste, die als Runway für die Flugzeuge diente, umgeben von einem Stacheldrahtzaun, der von den Fluggästen auf einer Holzleiter zu überklettern war. Nun hat sich hier schon ein kleines Städtchen gebildet, die Runway ist asphaltiert, es gibt ein modernes Flughafengebäude und sogar einige Internet- Cafes.

Zeitig am nächsten Morgen heißt es Abschied von Valentin nehmen. Er muss wieder zurück in die Heimat. Wir hatten eine Superzeit miteinander gehabt. Als sein Flieger von Lukla abhebt, mache ich mich auf den Weg nach Namche Bazar, dem Hauptort der Sherpa in 3450m Höhe. Auch hier hat sich jede Menge verändert. Komfortable Lodges, etliche Geschäfte, eine gute Bäckerei und sogar ein Internet-Café – keine wirklich günstige Option, aber was kostet die Welt, wenn man die in der Heimat Verbliebenen von seiner Tour informieren will.

Nun habe ich eine Höhe erreicht, wo ich nicht mehr einfach drauflos wandern kann. Ich könnte von hier die Häuser von Gokyo in fast 5000 Metern Höhe erreichen. Wollte ich dann dort schlafen, würde ich das wohl kaum überleben. Ab nun heißt es mitdenken, wie ich mir die Tage einteile.

Den Tag nach meiner Ankunft in Namche verbringe ich mit kurzen Ausflügen in die Umgebung. Und wohin zieht es mich zuerst? Hinauf nach Syangboche, dem Flughafen von Namche, der nach einem Flugzeug- Crash nur noch für Hubschrauber zugelassen ist. Hier wird am 29. März meine Expedition landen. Nun habe ich den gesamten Weg vom Toten Meer bis zu jenem Punkt, wo meine Expedition eintreffen wird, aus eigener Kraft mit dem Fahrrad und zu Fuß, geschafft. Aber nun haben wir erst den 25. Februar. Ich werde hier sicher nicht 32 Tage warten, ich werde diese großartige Landschaft genießen. Ich streune noch durch die Dörfer Khunde und Khumjung, ehe ich nach Namche zurückkehre. Morgen soll es dann weitergehen.
In vier Tagen könnte ich am Fuß des Everest stehen. Aber das will ich nicht. Alles zu seiner Zeit! Ich will das Dudh Khosi- Tal (Gokyo-Tal) und das Bhote- Tal erkunden. Beide habe ich bei meinem Aufenthalt in der Gegend vor 22 Jahren nicht kennen gelernt. In drei Tagen wandere ich über Dole und Machhermo in das 4800 Meter hoch gelegene Gokyo. Ich hätte diesen Ort in einer langen Tageswanderung erreichen können, aber dann hätte ich meine Schlafhöhe von 3400m auf 4800m erhöht, und da hätte wohl mein Körper nicht mitgespielt.

Die Landschaft ist großartig: die tief eingeschnittene Schlucht des Dudh Khosi, zahlreiche, noch verlassene Sommerweiden, hin und wieder eine Lodge. Rechts und links ragen die steilen Eiswände der Sechstausender in den Himmel, vor mir im Norden habe ich stets die beeindruckende Südwand des Cho Oyu vor Augen, mit 8201m der sechsthöchste Berg der Erde.

Ich bleibe mehrere Tage in Gokyo. Selbst hier in 4800 Metern Höhe gibt es eine gemütliche Lodge mit heißer Dusche, gutem Essen und herrlichem Seeblick. Ich besteige den einfachen Gokyo Ri (5360m), den Hausberg von Gokyo und den etwas anspruchsvolleren Ngozumpa Tse (5553m), der direkt unter der Südwand des Cho Oyu liegt. Von beiden Gipfeln genießt man eine großartige Aussicht auf den Mount Everest, den Lhotse und Nuptse, alle nur etwa 20 km entfernt.

Seit bald fünf Monaten bin ich nun unterwegs. Selbst die Ruhetage habe ich in dieser Zeit recht aktiv gestaltet. Ich bekomme auf einmal so richtig Lust, auszuspannen, rumzuhängen, viel zu essen und zu trinken und zuzunehmen (das ist nur in etwas tieferen Lagen möglich). Also auf in tiefer gelegene Gefilde! Aber nicht auf dem schnellsten Wege! Da gibt es noch das Bhote- Tal, das ich noch nicht kenne und den wilden Renjo- Pass (5430m), über den ein selten begangener Weg ins Bhote- Tal führen soll. Mit schwerem Gepäck mache ich mich an den Aufstieg zur Pass- Höhe. Da dieser Weg heuer noch nicht begangen wurde, verliere ich immer wieder die Trittspuren, aber irgendwie finde ich dann immer wieder auf den Weg zurück. Das malerische Bhote- Tal ist erst seit vier Jahren für Fremde zugelassen. Es gibt dort nur eine einzige Lodge und die ist um diese Jahreszeit noch geschlossen. Immer wieder treffe ich hier Tibeter, die mit ihren Yak- Herden über den 5800m hohen Nangpa- Pass nach Tibet ziehen. Es wird ein langer und harter Tag, am späten Nachmittag erreiche ich das hübsche Dorf Thame. Es ist jenes Dorf, aus dem die berühmtesten Everest- Bergsteiger des Sherpa-Volkes stammen.

Ein gemütlicher Weg führt am nächsten Tag zurück nach Namche Bazar. Entlang dieses Weges finden sich die schönsten Dörfer der Khumbu- Region (Thame, Samde, Thamo, Furte) .

Ich bin jetzt ca. 250 Kilometer durch die Berge des Himalaya gewandert und habe dabei etwa 18000 Höhenmeter im Aufstieg bewältigt. Es ist Zeit, etwas leiser zu treten und auch einiges an Gewicht zuzulegen. Zum Glück sind in den letzten Jahren in der Region Bäckereien und Konditoreien nach deutschem Muster entstanden. Die nächsten Tage sind eine Zeit des Wartens, Herumhängens und Ausspannens. Konditor-Trekking ist das Zauberwort! Die von mir verfasste Tabelle der Blutzuckerwerte vermeldet "leicht steigend", der Durchschnittswert klettert auf 124 mg/dl!



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