Bergabenteuer
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Vorerst am Ziel meiner Träume - Kathmandu
Kathmandu, 03.02.2006
Es ist Donnerstag, halb eins, ich kämpfe mich eine letzte Kehre hinauf, vor mir liegt eine unscheinbar wirkende Anhöhe. Hinter mir fallen die Hänge hunderte Meter ab, Reisterrassen im steilsten Gelände, einfache, braun und weiß getünchte Landhäuser.
In endlosen Serpentinen schlängelt sich die Straße den Hang herauf. Hunderte von LKWs hängen hier kilometerlang im Stau, der von den zahlreichen Polizeikontrollen geschaffen wird.
Der Rand des riesigen Hochtales ist erreicht – das Ende eines zweitägigen, kräftezehrenden Anstiegs. Monatelang habe ich von dieser Anhöhe geträumt. Jetzt rolle ich einfach drüber, schalte in die nächst höheren Gänge und genieße die Abfahrt. Ausrollen – wenig später füllt sich die Straße mit Menschen – die Vorstädte. Eine Stunde später werden mir die Straßen vertraut, ich kenne mich aus, brauche niemanden mehr nach dem Weg zu fragen. Ich fahre durch das halb geöffnete Tor und bin in « meinem » Kathmandu Guest House. Ausgerollt – nach 7871 km!
Neun Tage sind seit meinem letzten Bericht aus Lucknow vergangen. Die Zeit erscheint mir wie eine Ewigkeit – so voll ist sie mit Erlebnissen, guten wie schlechten.
Donnerstag morgens bin ich aus Lucknow Richtung Faizabad los. Ich hatte immer Schwierigkeiten mit der Geringachtung menschlichen Lebens seitens der indischen Oberschicht. Als Radfahrer hat sich dieser Eindruck noch verstärkt. Es ist nationaler Feiertag und viel Privatverkehr ist unterwegs, d.h. die Oberschicht in ihren 4x4-Gefährten. Ungebremst rasen sie durch die zahlreichen Dörfer an der Straße. Einer dieser Landrover kann beim Überholen im Ort nicht mehr bremsen, versucht es gar nicht. Eine alte Frau fliegt in hohem Bogen durch die Luft, sie ist sofort tot. Der Fahrer hält nicht einmal an. Die kastenlosen Dorfbewohner nehmen es hin. Kaum ein Aufschrei, keine Wut. Später wird man sie von der Straße schaffen. Die Lethargie dieser Ärmsten der Armen erinnert mich an die Antilopen im Süden Afrikas. Ein Tier ihrer Herde wird von Geparden gerissen, sie schauen kurz auf, laufen einige Meter und grasen weiter. Ich muss mich nicht an alle Landessitten gewöhnen.
Indien ist ein sehenswertes Land mit liebenswerten, hilfsbereiten Menschen, besonders abseits der Touristenpfade. Besonders mit den Menschen der unteren Mittelschicht hatte ich beste Erfahrungen. Mit ihnen kann man ein wenig kommunizieren und sie helfen ohne irgendeine Gegenleistung zu erwarten. Es ist einzig dieses gesellschaftliche System, das fundiert durch eine Religion eine Klassen(Kasten)gesellschaft hoffähig macht - dies und die daraus resultierende Verelendung der Massen kann ich nicht ertragen. Abends lerne ich in Faizabad vier Jugendliche aus der Oberschicht kennen. Nette, höfliche Jungs, Schüler einer Eliteschule. Stolz erzählen sie mir, dass sie einen sozial engagierten Lehrer haben, der mit ihnen eine Exkursion in ein Dorf gemacht hat. So konnten sie einmal mit «diesen » Menschen sprechen. Was für eine geteilte Gesellschaft ! Gandhi mag noch so viele Denkmäler in diesem Land haben, er ist längst in den Herzen der Menschen gestorben.
Zwischen Faizabad und Gorakpur wird der sogenannte Highway zum Schlagloch-Feld. Es gibt kein normales Vorwärtskommen mehr, ein Rumpeln von einem Loch ins nächste. Ich staune, dass mein Rad dies unbeschadet übersteht und wundere mich, dass ein Land, das mit Atomwaffen spielt, seinen Menschen keine brauchbaren Straßen bauen kann. Immerhin nennt sich diese Straße "Highway".
Am Samstag kämpfe ich mich weiter in Schlangenlinien durch und an den Schlaglöchern vorbei – bis Gorakhpur. Dahinter erreiche ich eine überraschend gut befahrbare Landstraße. Vergnügliches Fahren durch eine liebliche Landschaft – die Sonne scheint, kaum Verkehr, nur endlos viele Radfahrer. Man kann nebeneinander her fahren, miteinander plaudern, sofern es die Sprachkenntnisse zulassen. Ich bin auf den letzten hundert Kilometern nach Nepal. Um fünf Uhr am Nachmittag erreiche ich die Grenze. Es ist hier jede Menge Leben, doch ausschließlich Inder und Nepali, die hier ohne Formalitäten verkehren dürfen. Die Grenzstationen sind so versteckt, dass ich bereits in Nepal bin, ehe ich bemerke, dass mir noch der Ausreisestempel aus Indien fehlt. Also nochmals retour, in wenigen Minuten ist alles erledigt. Ich bin endlich wieder in «meinem» Nepal, dem letzten Land meiner Reise. Ich liebe dieses Land, seine Leute, meine Stimmung ist im absoluten Hoch. Aber auch dieses Land hat derzeit massive Probleme. Der ungeliebte König tyrannisiert sein Volk derzeit mit einem Ausnahmezustand – Ausgangssperre ab 20 Uhr bis 4 Uhr, unzählige Check- Points an den Straßen, die den Verkehr teilweise zum Erliegen bringen. Die Maoisten reagieren mit Attentaten auf Armee- und Polizeiposten und rufen, ebenso wie die anerkannten politischen Parteien zu landesweiten Streiks auf, die das Land teilweise lahm legen. Niemand weiß, ob die Situation in einem Bürgerkrieg eskalieren wird.
Abgesehen von den Staus und der Ausgangssperre scheint das Leben aber normal weiter zu gehen und auch ich fühle mich hier völlig sicher.
Am Sonntag radle ich durch das Tiefland Nepals, das fast auf Meeresniveau liegende Terai – eine liebliche Landschaft, links, das heißt nördlich, neben mir beginnen die Berge. Dies macht das Radeln mühsam. Die vielen Bachtäler, die nach Süden fließen, führen dazu, dass es kaum flache Straßenstücke gibt, nur ein steiles Rauf oder steiles Runter.
Montags verlasse ich bei Naraynghat das Terai, fahre nach Norden, hinein in die Berge. Malerische, tief eingeschnittene Schluchten, wilde Flüsse, Reisterrassen, malerische Dörfer und Gehöfte. So sehr ich das Radeln in dieser Landschaft genieße, das dauernde Rauf und Runter zehrt an den Kräften. Abends finde ich eine nette Unterkunft direkt am heiligen Trisuli- Fluss. Es ist Zeit, morgen einen Ruhetag einzulegen!
Mittwoch morgens - es sind nur noch 100 Kilometer bis nach Kathmandu. Doch es sind beinharte 100 Kilometer! Von 200m Seehöhe steigt die Straße auf 85 km bis auf 1600 m an. Das wäre noch nicht so schlimm, wäre dies nicht ein dauerndes Auf und Ab. 50 m rauf, 50 m runter, 100 m rauf, 90 m runter – kaum ein Höhengewinn! Auf dieser Strecke legt man wohl mehrere Tausend Höhenmeter zurück, getröstet wird man durch eine grandiose Landschaft mit tief eingeschnittenen Tälern.
Eine letzte spartanische Nacht habe ich im Dorf Naubise, 30 km vor Kathmandu, verbracht. Heute habe ich dann diesen letzten Anstieg geschafft – mein erstes großes Ziel erreicht. Mein Rad habe ich weg gesperrt - in den nächsten Tagen werde ich den Luxus von Kathmandu genießen – schließlich muss ich mir wieder einige der Kilos anfuttern, die ich dann am Everest vermutlich wieder verlieren werde.
Tagesetappen:
26.1. Lucknow - Faizabad: 133,6 km
27.1. Faizabad - Khalilabad: 116,1 km
28.1. Khalilabad - Grenze zu Nepal - Bhairawa: 137,4 km
29.1. Bhairawa - Kawasoti: 107,8 km
30.1. Kawasoti - Kurintar: 78,0 km
31.1. Kurintar - Ruhetag
1.2. Kurintar - Naubise: 79,0 km
2.2. Naubise - Kathmandu: 29,2 km
15.10 - 2.2. Amman - Totes Meer - Kathmandu: 7870,8 km
Blutzuckerwerte Tagesschnitt:
Durchschittlich 3,5 Messungen pro Tag:
26.1. 168 mg/dl
27.1. 99 mg/dl
28.1. 52 mg/dl
29.1. 83 mg/dl
30.1. 96 mg/dl
31.1. 144 mg/dl
1.2. 57 mg/dl
2.2. 70 mg/dl
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