Bergabenteuer


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Zwangspause in Belutschistan

Zahedan, 09.12.2005

Mein Run zum Everest ist erstmal gehörig ins Stocken geraten. Das waren nicht meine Tage, diese letzte Woche. Aber alles schön der Reihe nach!

Zwischen Kerman, wo ich mich zuletzt gemeldet habe, und Bam liegen 210 gebirgige km. Unmöglich für einen Tag! Ich übernachte in Mahan, 45 km nach Kerman, ein nettes Städtchen vor einem 2500m hohen Plateau. Dort bemerke ich erstmals, dass sich ein Abszess just an der Stelle, wo ich am Sattel aufsitze, gebildet hat. Ich besorge mir eine Creme und Desinfektionsmaterial, am nächsten Tag sitze ich wieder am Rad. 168 lange und nicht schmerzfreie Kilometer fahre ich über das erwähnte Hochplateau, bei der Abfahrt bläst mir starker Wind entgegen, sodass ich selbst im Gefälle stark treten muss. Es wird finster, gerade als ich die Stadt erreiche.

Breite, stolze Boulevards, mit Palmen am Mittelstreifen, dichter Abendverkehr, wie man ihn in einer 120000 Einwohner-Stadt erwarten muss. Doch es fehlt etwas, die Straßen sind unbeleuchtet, geisterhaft huschen die Menschen durch die Dunkelheit. Einige sitzen am Straßenrand und wärmen sich an einem Feuer, das aus einem Blechbehälter lodert. Und es fehlt noch etwas! Es gibt keine Häuser. Am 26.12.2003 hat hier mitten in der Stadt die Erde gebebt und fast die Hälfte der Bevölkerung, 40000 Menschen, in den Tod gerissen. Nur selten sieht man ein Haus, das stehen geblieben ist - und diese wenigen Erinnerungsstücke, dass hier mal eine Stadt gestanden ist, dürfen wegen der Einsturzgefahr nicht betreten werden. Sie warten auf den Abriss. Es gibt nur einen Platz, an dem man in dieser Stadt übernachten kann - bei Akbar, der mit Container-Teilen sein zerstörtes Guesthouse notdürftig ersetzt hat.

Am 1. Dezember bleibe ich in Bam. Das Leben ist zurückgekehrt in diese Stadt. Sie hat Arbeitskräfte aus dem ganzen Land angezogen, die hier im Baugewerbe Arbeit gefunden haben und täglich am Neuaufbau der Stadt arbeiten. Doch es gibt noch keine fertigen Häuser. Das Leben spielt sich in Containern ab. Die Menschen leben darin, die Geschäfte sind darin untergebracht und selbst die Banken. Es gibt sogar eine kleine Shopping-Mall aus Containern. Der Besuch der berühmten Zitadelle Arg-e Bam ist natürlich auch deprimierend - kaum ein Stein ist auf dem anderen geblieben.

Das Elend der Menschen aus Bam ist nach weniger als zwei Jahren in Vergessenheit geraten. Andere Katastrophen haben es aus dem Bewusstsein der Menschheit verdrängt. Aber die Menschen von Bam werden noch viele Jahre benötigen, bis sie wieder ein menschenwürdiges Dasein führen können, ganz abgesehen von der Tragödie um den Verlust geliebter Menschen. Es gibt wohl kaum eine Familie, die keinen Angehörigen verloren hat.

Als ich am nächsten Tag von Bam aufbreche, weiß ich, dass 330 Wüstenkilometer vor mir liegen, eine Wüste, in der es nur ein einziges Dorf, 230km von Bam entfernt, gibt. Nach 112 km sehe ich ein Haus, eine einsame Polizeistation. Die Polizisten nehmen mich freundlich auf, lassen mich im Gebetsraum schlafen, sie bewirten mich auch.

Lange sitze ich am Abend im Freien und betrachte den Sternenhimmel, der nur in der Wüste so großartig sein kann. Am nächsten Tag, bereit zum Aufbruch, muss ich bemerken, dass meine Digitalkamera weg ist - irgendwo am Vortag verloren gegangen. Stundenlang suchen wir alle in der Umgebung - erfolglos. Darum kann ich diesmal auch keine Bilder mitliefern - sorry.

Zu Mittag setze ich meine Fahrt fort, erreiche nach etwa einer Stunde die Grenze zur Provinz Belutschistan, den iranischen Teil von Belutschistan. Da es hier keine Dörfer gibt, bemerke ich noch nicht, dass ich in eine andere Welt gekommen bin. Hier leben die Belutschen, hier herrscht Stammesrecht, die Zentralmacht hat hier kaum einen Einfluss. Dies muss ich gleich merken als ich wieder einmal in die Dunkelheit komme und die Polizei mir befiehlt, mit ihnen die fehlenden 25km auf dem Pickup in das einzige Dorf auf diesem Wüstenabschnitt mitzufahren, nach Nosratabad. Zu gefährlich, meinen sie, in einer Art Abstellkammer lassen sie mich schlafen. Keine Hygiene und ich spüre, dass es mir mit meinem Abszess immer schlechter geht.

Am nächsten Morgen, 4. Dezember, muss ich in der Früh erst einmal zu dem Ort zurückkehren, wo mich die Polizei gestern aufgelesen hat. Schließlich muss ich ja jeden Meter vom Toten Meer zum Everest selbst fahren oder gehen. Dann warten 136 sehr gebirgige Kilometer auf mich. Anfangs will mir die Polizei selbst am Tag eine Eskorte mitgeben, aber das kann ich erfolgreich abwimmeln. Die Fahrt wird sehr schmerzhaft, der Abszess ist nun offen.

Die Wüstenlandschaft ist hier wunderschön, etliche Canyons, aber meine Genussfähigkeit ist ziemlich reduziert.
Am späten Nachmittag erreiche ich Zahedan, eine 500000 Einwohner zählende Stadt mitten in der Wüste Belutschistans. Es ist eine Stadt, die kaum Sehenswertes zu bieten hat und in der so gut wie niemand Englisch spricht. Wissend, dass etwas mit meinem Abszess zu geschehen hat, nehme ich mir ein etwas besseres Zimmer mit eigener Dusche.

Am nächsten Morgen kämpfe ich mich durch die Stadt durch und erfrage erfolgreich ein Spital. Eine Chirurgin untersucht mich - Operation notwendig! Das habe ich mir auch schon gedacht. Schnell entschließe ich mich, den Eingriff in Zahedan machen zu lassen, obwohl hier sicher nicht der gleiche Standard wie in Teheran herrscht. Ob ich richtig entschieden habe, werde ich erst in 10-15 Tagen wissen. Jedenfalls vereinbaren wir einen Operationstermin für den nächsten Tag - auf Farsi, nicht auf Englisch!

Am 6. Dezember kam ich in der Früh in den OP und der Abszess wurde herausgeschnitten. Ich konnte erreichen, dass ich nicht im Spital bleiben musste und ins Hotel zurück durfte und dort meine Antibiotika- Behandlung fortsetze. Täglich wird nun in einer kleineren Klinik meine Wunde versorgt. Noch weiß ich nicht, wann ich wieder aufs Rad steigen kann. Aber ich will es nicht zu früh tun - schließlich hab ich noch viel vor. Zum Glück habe ich mir einen guten Zeitvorsprung herausgeradelt - derzeit bin ich bei 4040km. Jedenfalls bleibe ich noch einige Tage in der Stadt und hoffe, dass das iranische Fernsehen weiterhin so viele europäische Fußballübertragungen sendet.

Tageskilometer:
29.11. Kerman - Mahan - 43,4 km
30.11. Mahan - Bam - 168,2 km
1.12. Ruhetag Bam
2.12. Bam - Shur Gaz - 112,2 km
3.12. Shur Gaz - Stelle, wo mich Polizei aufgelesen hat - 90,1 km
4.12. Stelle, wo mich Polizei aufgelesen hat - Zahedan - 136,0 km
seit 4.12. in Zahedan

Blutzuckerwerte Tagesschnitt:
Durchschittlich 4,0 Messungen pro Tag:
28.11. 84 mg/dl
29.11. 112 mg/dl
30.11. 144 mg/dl
1.12. 77 mg/dl
2.12. 129 mg/dl
3.12. 80 mg/dl
4.12. 115 mg/dl
5.12. 142 mg/dl
6.12. 150 mg/dl
7.12. 101 mg/dl
8.12. 185 mg/dl
9.12. 157 mg/dl







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