Reiseberichte


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WALD DER GEISTER

Kaum merkbar steigt die kleine, 12-sitzige Maschine über dem Baliem -Fluss in die Höhe. Bald wird das Tal enger, die grünen Berggrate rücken von beiden Seiten an uns heran, überragen uns, keine Straßen, kaum erkennbare Pfade, liebliche Dörfer mit ihren Rundhütten. Hier leben die Dani und Yali, Völker, von deren Existenz vor siebzig Jahren noch niemand wusste. Dann stürzt der Baliem abrupt tausend Meter in die Tiefe, hinein in den dampfenden Regenwald der südlichen Tiefebene.
Wir landen in Yahukimo, einige Holzhütten und etliche moderne Gebäude, die noch alle im Bau sind, die Indonesier wollen da ein Verwaltungszentrum für die kaum zugänglichen Papua-Dörfer der Umgebung errichten, ein Verwaltungszentrum für Völker, die noch nie verwaltet wurden. Von hier wollen wir weiter in die Wälder der Korowai. Mit uns kommen Isak und sein Freund Weo, beide Papua aus dem Bergland, beide mit Kontakten zu diesem schwer zugänglichen Volk.

Am nächsten Tag gleiten wir im Einbaum die trägen Mäander des Brazza - Flusses hinunter, an den Ufern nichts als undurchdringbarer Dschungel. Hin und wieder tauchen Palmhütten auf, die meisten verlassen, die erbarmungslose Natur lässt sich nicht bezwingen. Noch am selben Tag erreichen wir den riesigen Siriat, dem wir nun flussaufwärts folgen. Die Abendsonne überzieht seine Wasser mit einem zauberhaften, rötlichen Schleier, als wir in einer Bucht des kleinen Dorfes Sepenap landen. Hier leben die Citak, ein letzter Vorposten der Zivilisation. Das Dorf besitzt eine winzige Schule, womit auch unsere Unterkunft gesichert ist, wir dürfen im Klassenzimmer unser Lager errichten.

Wenige Kilometer östlich beginnt das Gebiet der KOROWAI. Diese Menschen lebten bis vor wenigen Jahren völlig unberührt von der Außenwelt. Bis heute gibt es dort keine Schulen, keine Geschäfte. Nur wenige Güter aus unserer Welt, meist einfache Kleidung, Töpfe und Macheten, sind in ihre Lebenswelt eingesickert. Fast unberührt vom Wandel der Zeiten leben die Menschen in ihren traditionellen Baumhäusern, jagen Vögel, Fische, Schildkröten und Warane mit Pfeil und Bogen, fällen die Sagopalmen mit Steinäxten und fürchten die Geister des Waldes.

Ein begehrtes Ziel für Abenteurer, doch nur die im Westen lebenden Clans erlauben Fremden den Zutritt in ihr Gebiet. Im Osten verläuft eine unsichtbare Grenze – die Pacification Line. Jenseits davon leben etwa fünfzig Großfamilien irgendwo im Wald, niemand weiß genau wo, da sie bisher allen Fremden, auch Indonesiern und anderen Papua, den Zutritt in ihr Gebiet verweigert haben – die STEINKOROWAI.
In allerletzter Zeit wurden einige wenige Kontakte zu den Steinkorowai möglich, meist mit dem Letin Clan, der allerdings schon auf Grund der Nähe zur Mission von Yafufla seine selbstgewählte Isolation aufgegeben hat. Und da sind natürlich auch die jungen Männer der Steinkorowai, die selbst diese geheimnisvolle Grenze aufweichen. Sie durchwandern ihr Land, kommen zu den Hütten ihrer westlichen Korowai Brüder und begegnen dort Dingen aus einer ihnen unbekannten Welt.

Zu Mittag des nächsten Tages erreichen wir Mabul am Siriat, das erste Dorf der Korowai. Die Nähe zum Wasserweg hat den Menschen Zugang zu Gütern aus unserer Welt gebracht. Isak stellt eine Mannschaft aus Trägern und Koch zusammen, in der Mittagshitze verlassen wir das hübsche Dorf und werden binnen Minuten vom dampfenden, menschenfeindlichen Regenwald verschlungen. Knietiefer Schlamm, Flüsse, über die wir auf dünnen Stämmen und Ästen balancieren, Tausende Stechfliegen, Moskitos, Blutegel, eine Schwüle, die jeden Tropfen Wasser aus unseren Körpern presst.
Wir sind froh, als wir am Nachmittag unsere Schlafstelle, eine verlassene Blätterhütte erreichen. Ängstlich wachen Isak und seine Männer über uns, denn es könnten feindliche Korowai auftauchen. Ein glühendes Holzscheit huscht geräuschlos an uns vorüber, dann noch einmal zwei, schemenhaft kann man Pfeil und Bogen erkennen. Hier im Dschungel fürchtet sich jeder vor jedem, vor allem in der Nacht und Schauergeschichten machen die Runde, doch unsere Feinde sind wohl eher die zahllosen Bremsen, Ameisen und Spinnen!

Nach zwei Tagen erreichen wir die kleine Siedlung Baigon. Hier leben drei Familien in ihren bis zu 20m Meter hohen Baumhäusern, nahe einer Handvoll Sagopalmen, die ihr Leben bedeuten. Anfangs scheu, beziehen uns die Korowai bald in ihr Leben ein und versorgen uns mit ihren Köstlichkeiten, Fladen aus Sagomehl, Papageien-Fleisch und vor allem mit Sagowürmern! Unsere ersten zaghaften Kletterversuche auf eingekerbten Baumstämmen in schwindelnde Höhen und der Aufenthalt oben auf schwankendem Untergrund treiben uns allerdings neuerlich den Schweiß aus allen Poren. Wir sind froh, als sie uns Unterschlupf in einer geräumigen Palmenhütte anbieten!
Die Dunkelheit erfüllt die verblassende Dschungelkulisse mit Leben, geheimnisvolle Laute lassen den Wald zur Heimat unbekannter Wesen werden. Bald klingen schrille Gesänge an unser Ohr, keine Feinde, keine Drohgebärde, Ritual in einem Wald, der in der Dunkelheit von Geistern dominiert wird. Als wir abends ein Bad im nahe gelegenen Bach nehmen wollen, hält uns Isak erschrocken zurück. Friedlich sind uns die Korowai am Tage begegnet, doch in der Nacht überwiegt ihre Angst. In welche Wesen mögen sich wohl die weißen Menschen in der Nacht verwandeln? Ihre Furcht kann für uns zur Gefahr werden!

Wir bleiben eine Zeitlang in Baigon und erleben den Alltag der Korowai, wie sie auf die Jagd gehen, die Sagowürmer ernten, Feuer machen, johlend in ihre Baumhäuser klettern. Für Geri ist der Weg hier aber leider zu Ende. Seine Wunde vom Bootsunfall ist wieder offen, der Fuß stark angeschwollen.
Nach langem Überreden ist Isak bereit mit weiteren fünf Korowai mit Sylvia allein weiter zu ziehen. Ein in der Siedlung lebender Steinkorowai kommt mit, er sorgt für die Verständigung im nächsten Dorf und soll zudem als Bote Vertrauen herstellen.


AUF DER SUCHE NACH DEN STEINKOROWAI

War der Pfad bis jetzt schon mühsam genug, erlebe ich nun fast undurchdringliches Dickicht, dem man nur mit Macheten Herr wird. Endlos morastige Sümpfe, abenteuerliche Balanceakte, zweimal gehe ich unfreiwillig baden. Allerdings habe ich mich inzwischen einigermaßen an die klimatische Herausforderung angepasst und bereits zu Mittag sind wir vor Wayal angelangt, das erste Dorf der Steinkorowai, direkt hinter der Pacification Line, direkt an der Grenze zur Welt jenseits, Eintauchen in eine steinzeitliche Lebenswelt...
In dieses Dorf hat Isak bereits vor einem Jahr versucht zu gelangen, doch er wurde abgewiesen und musste sogar fliehen. Ich merke ihm an, dass er große Angst hat. Aber uns ist das Glück hold! Ein vorausgeschickter Bote meldet, dass wir willkommen sind und wir werden freundlich begrüßt. Bald sitzen wir im Kreis der Familien und teilen unsere Reismahlzeit mit ihnen. Isak möchte gleich da bleiben, aber ich dränge weiter. Mit Burschen aus diesem Dorf streifen wir den ganzen Nachmittag durch die Wildnis, auf der Suche nach einem bestimmten Steinkorowai, der Kontakt zum nächsten Dorf hat und uns weiterführen könnte. Nach Stunden finden wir endlich sein Baumhaus und seine Frau, der wir uns allerdings nicht nähern dürfen, zu groß ist ihre Angst.
Um 18 Uhr wird es bereits stockdunkel und wir beeilen uns nach Wayal zurück. Ich erhalte meinen Schlafplatz im Baumhaus auf der Männerseite, in der Nähe der Feuerstelle. Nur durch eine dünne Wand getrennt, befindet sich das Abteil der Frauen, Kinder, Hunde und kleinen Schweine. Neugierig kommen mich ein Mädchen und ihre Mutter über den Zugang einer Veranda besuchen, streichen staunend immer wieder über meine Haare und Haut.
Gelächter und Tratsch in völliger Dunkelheit, über mehrere Baumhäuser hinweg, halten mich bis weit nach Mitternacht vom Schlaf ab, dies setzt sich bei der Morgendämmerung um 5 Uhr früh fort. Besuch ist bereits da, der gesuchte Steinkorowai ist gekommen, wir können zum nächsten Dorf vorstoßen, sein Bruder wird uns führen.

Wieder arbeiten wir uns durch den Dschungel, immer wieder werden zur Markierung des Pfades Äste geknickt. Am Nachmittag entdecken wir endlich Rauch aus fernen Baumhäusern aufsteigen. Wir haben Nanagaton erreicht, ein Ort, von dessen Existenz die Welt bisher nichts wusste. Wir quartieren uns zunächst in einem leer stehenden Baumhaus ein, ein Trupp wird vorgeschickt, kommt allerdings mit der Botschaft zurück, dass sich die Leute fürchten, wir sind nicht erwünscht!
Enttäuscht richte ich auf der fast zehn Meter hohen Veranda meinen Schlafplatz ein.
Die Nacht bricht an. Unzählige Glühwürmchen schweben über der Lichtung, darüber erstrahlt ein prachtvoller Sternenhimmel.
Da wandert ein glühender Holzscheit über die Stämme in der Tiefe, einen Mann aus dem Dorf hat die Neugierde getrieben und er hat sich hierher gewagt! Er klettert herauf und verschwindet sofort im Inneren der Hütte, äugt verstohlen immer wieder zu mir heraus. Nach einiger Zeit verlässt er uns genauso lautlos wie er gekommen ist.
Die Nacht darauf wird mir fast zum Verhängnis! Einer der Burschen hat seine schwerkranke Frau mitgeschleppt. Sie hustet, spuckt, wimmert ohne Unterlass. Ich möchte ihr Medikamente geben, doch Isak wehrt erschrocken ab: Stirbt sie, wären alle Fremden an ihrem Tod schuld, das hätte unvorhersehbare Folgen!

Gerädert treten wir um 7 Uhr am Morgen den Rückweg an, das Paar bleibt gottlob zurück. Da erscheint unser nächtlicher Besucher wieder, er ist bereit uns einen anderen Weg zurückzuführen. Welch eine Begegnung!
Wieder schlagen wir uns im Kampf gegen Schlingen und Fallen der Natur, es ist der härteste bis jetzt und raubt mir sämtliche Kräfte. Nach einigen Stunden möchte ich wissen, wie weit es noch ist, die Übersetzungskette nimmt ihren Gang. Es fängt an nahe zu sein, ist die Antwort, nach einer weiteren Stunde, es fängt an wirklich nahe zu sein - und dauert abermals eine Stunde. Ich weiß ja längst, dass es hier keine Zeitbegriffe gibt, Stunden werden zu Tagen und umgekehrt, auch mein Versuch Vergleiche zu schaffen, scheitert.
Verdreckt, zerstochen, zerschunden, von Flöhen zerbissen und restlos erschöpft, aber zufrieden, falle ich Geri am Nachmittag in Baigon in die Arme.
Das ganze Dorf ist auf den Beinen und feiert unsere Rückkehr mit köstlichen Flusskrabben, leider müssen auch wieder Paradiesvögel ihr Leben lassen. Als ich auch noch die letzten Stacheln aus meinen Armen entfernt habe, steht einem erholsamen Schlaf nichts mehr im Weg.
Der Abschied fällt ungemein herzlich und mit gegenseitigen Geschenken aus, Geri wird eine wunderschöne geschnitzte Pfeife überreicht, wir teilen Reis, Macheten und kleine Spiegel aus. Auch ihre Art des Feuermachens, mit Steinen und Bastschnur, wird uns noch einmal anschaulich gezeigt.

Die Rückkehr aus der steinzeitlichen Welt in die Zivilisation wird zur Geduldsprobe! Zunächst geht es nach Mabul zurück. Dort besteigen wir einen winzigen Einbaum. Drei Paddler wollen uns in zwölfstündiger Fahrt nach Suarto bringen. Aber schon nach drei Stunden ist das Unterfangen zu Ende, zu heftig prasselt der Regen, wir kommen mit dem Ausschöpfen nicht mehr nach und unser Gepäck scheint zu Brei zu verklumpen. In Sepenap steigen wir in ein Motorboot um.

Doch auch in Suarto ist uns das Glück nicht hold, das einzige Fährschiff ist am Vortag explodiert. Ein riesiger Lastkahn nimmt uns nach langen Verhandlungen auf dem Siriat auf, gleitet unendlich langsam den Brazza hinauf, doch dann bleibt der Frachter bei nur einem Meter Wasserstand auf einer Sandbank hängen. Erst nach Tagen des Ausharrens kommt zufällig ein Boot vorbei, das uns nach langem Überreden aufnimmt und nach Yahukimo mitnimmt.
Am nächsten Tag fliegen wir nach Wamena zurück, zwei Tage werden wir uns nun sanieren, bevor wir erneut in den Dschungel aufbrechen, wir wollen schließlich noch das Bergland erkunden!



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